Mal angenommen, vor Ihnen steht ein Behälter mit einer Ihnen unbekannten Flüssigkeit. Sie möchten wissen, wie stark sich die Moleküle darin aufgrund ihrer thermischen Energie zufällig hin- und herbewegen. Sie verfügen jedoch über kein Mikroskop, mit dem Sie diese Fluktuationen (auch „Brownsche Molekularbewegung“ genannt) sichtbar machen könnten.
Das benötigen Sie aber auch gar nicht: Sie können auch einfach einen Gegenstand an eine Schnur binden und durch die Flüssigkeit ziehen. Je mehr Kraft Sie dafür aufwenden müssen, desto zähflüssiger ist die Flüssigkeit. Und je zähflüssiger (viskoser) sie ist, desto langsamer verändern die Teilchen, aus denen sie besteht, im Mittel ihre Position. Aus der Viskosität bei einer bestimmten Temperatur lässt sich so das Ausmaß der Fluktuationen exakt berechnen.
Das physikalische Gesetz, das diesen Zusammenhang beschreibt, ist das Fluktuations-Dissipations-Theorem. In einfachen Worten besagt es: Je mehr Kraft man aufwenden muss, um ein System von außen zu stören, desto weniger fluktuiert es auch per Zufall (also statistisch), wenn man es in Ruhe lässt. „Uns ist es nun erstmals gelungen, die Gültigkeit dieses Theorems für eine sehr spezielle Gruppe von Systemen zu beweisen: für Bose-Einstein-Kondensate“, erklärt Dr. Julian Schmitt vom Institut für Angewandte Physik der Universität Bonn.
„Super-Photonen“ aus Tausenden von Lichtteilchen
Bose-Einstein-Kondensate sind exotische Materieformen, die aufgrund eines quantenmechanischen Effekts entstehen können: Unter bestimmten Bedingungen werden Teilchen - seien es Atome oder auch Photonen - ununterscheidbar. Viele Hundert oder Tausend von ihnen verschmelzen dann gewissermaßen zu einem einzigen „Super-Teilchen“ - dem Bose-Einstein-Kondensat (englisches Kürzel: BEC).
In einer Flüssigkeit bei einer endlichen Temperatur bewegen sich Moleküle zufällig hin und her. Je wärmer sie ist, desto ausgeprägter werden diese thermischen Fluktuationen. Auch Bose-Einstein-Kondensate fluktuieren: Die Zahl der Teilchen, aus denen sie bestehen, schwankt. Und auch diese Schwankung nimmt mit steigender Temperatur zu. „Wenn das Fluktuations-Dissipations-Theorem auch bei BECs zutrifft, müssten diese umso leichter auf Störungen reagieren, je größer die Fluktuation ihrer Teilchenzahl ist“, betont Schmitt. „Leider ist das Ausmaß der Schwankung bei den meisten BECs aber zu klein, als dass sich dieser Zusammenhang nachweisen ließe.“
Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Martin Weitz, der Schmitt als Nachwuchsgruppenleiter angehört, arbeitet jedoch mit Bose-Einstein-Kondensaten aus Lichtteilchen (Photonen). Und für die gilt diese Einschränkung nicht. „Wir lassen die Photonen in unseren BECs mit Farbstoff-Molekülen interagieren“, sagt der Physiker, der kürzlich einen hoch dotierten Preis für Nachwuchswissenschaftler der Europäischen Union gewonnen hat, einen sogenannten ERC Starting Grant. Bei der Wechselwirkung der Photonen mit den Farbstoffmolekülen kommt es regelmäßig vor, dass ein Molekül ein Photon „verschluckt“. Der Farbstoff wird dadurch energetisch angeregt. Er kann diese Anregungsenergie später wieder abgeben, indem er ein Photon „ausspuckt“.
Energiearme Photonen werden seltener verschluckt
„Durch den Kontakt zu den Farbstoff-Molekülen zeigt die Zahl der Photonen in unseren BECs außergewöhnlich große statistische Fluktuationen“, sagt der Physiker. Zudem können die Forscher die Stärke dieser Schwankung präzise kontrollieren: Die Photonen sind im Experiment zwischen zwei Spiegeln gefangen und werden von ihnen wie bei einem Pingpong-Spiel hin- und hergeworfen. Der Abstand der Spiegel lässt sich variieren. Je größer er wird, desto energieärmer werden die Photonen. Und je energieärmer sie sind, desto seltener gelingt es ihnen, ein Farbstoff-Molekül anzuregen (desto seltener werden sie also verschluckt). In einem BEC aus energiearmen Photonen fluktuiert die Zahl der Lichtteilchen daher deutlich weniger.
Die Bonner Physiker haben nun untersucht, wie das Ausmaß der Fluktuation mit der „Störbarkeit“ des BECs zusammenhängt. Wenn das Fluktuations-Dissipations-Theorem gilt, sollte diese mit sinkender Fluktuation abnehmen. „Tatsächlich konnten wir diesen Effekt in unseren Experimenten bestätigen“, betont Schmitt, der auch Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Matter“ der Universität Bonn und im Exzellenzcluster „ML4Q - Matter and Light for Quantum Computing“ ist. Damit ist es nun wie bei Flüssigkeiten möglich, aus makroskopischen, leicht messbaren Parametern von Bose-Einstein-Kondensaten auf ihre mikroskopischen Eigenschaften zu schließen. „Das eröffnet auch den Weg zu neuen Anwendungen, etwa zur genauen Temperaturbestimmung von Licht“, sagt Schmitt.