19. März 2025

Euclid öffnet Schatztruhe an Daten und gewährt erste Einblicke in die Tiefen des Universums Euclid öffnet Schatztruhe an Daten und gewährt erste Einblicke in die Tiefen des Universums

Deutschlands Beitrag zur Erforschung des dunklen Universums

Die deutschen Mitglieder des Euclid-Konsortiums haben maßgeblich zur Erstellung des ersten großen Datensatzes der Mission beigetragen, den die Europäische Weltraumorganisation ESA nun veröffentlicht hat. Forschende vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn (AIfA) waren an den Arbeiten beteiligt. Die Daten umfassen beeindruckende Aufnahmen tiefer Himmelsfelder mit insgesamt 26 Millionen Galaxien. Bei vielen sind feinste Strukturen zu sehen. Zudem wurden die Form und Entfernung von über 380.000 Galaxien bestimmt. Doch dieser eindrucksvolle Meilenstein ist erst der Auftakt zu den bahnbrechenden Erkenntnissen, die in den kommenden Jahren folgen werden. 

Dieses Bild zeigt Beispiele für Galaxien in verschiedenen Formen,
Dieses Bild zeigt Beispiele für Galaxien in verschiedenen Formen, - die alle von Euclid bei seinen ersten Beobachtungen der Deep-Field-Gebiete aufgenommen wurden. Im Rahmen der Datenveröffentlichung wurde ein detaillierter Katalog von mehr als 380.000 Galaxien veröffentlicht, die nach Merkmalen wie Spiralarmen, zentralen Balken und Gezeitenschweifen klassifiziert wurden, die auf verschmelzende Galaxien schließen lassen. © ESA/Euclid/Euclid Consortium/NASA, Bildbearbeitung: M. Walmsley, M. Huertas-Company, J.-C. Cuillandre
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Die Daten decken ein riesiges Himmelsgebiet durch drei Bilder ab, die jeweils aus Einzelaufnahmen bestehen. Sie beinhalten zahlreiche Galaxienhaufen, aktive galaktische Kerne und veränderliche Phänomene. Diese ersten Durchmusterungsdaten sind eine wahre Fundgrube an Informationen für Forschende, die damit einige der faszinierendsten Fragen der modernen Wissenschaft angehen können. Mit Euclid können Astronominnen und Astronomen die kosmische Geschichte und die unsichtbaren Kräfte erforschen, die das Universum formen. Euclid ist ein Weltraumteleskop mit einem außergewöhnlich großen Gesichtsfeld, das in einer einzigen Aufnahme einen 240-mal größeren Bereich erfasst als das Hubble-Teleskop. Es liefert zudem eine hervorragende Bildqualität sowohl im sichtbaren als auch im infraroten Lichtspektrum.

Entscheidende Beiträge aus Deutschland

Besonders beeindruckt Euclid mit seinen Eigenschaften bei der Beobachtung im Infrarotlicht. Das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching bei München und das Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg lieferten für diesen Bereich entscheidende Komponenten. Das Infrarotlicht durchläuft vier Linsen, ein Filter und einen Strahlteiler. Dennoch erzielt Euclid einen außerordentlich hohen Kontrast. „Die Anforderungen an die Vermeidung von Geisterbildern werden um das Hundertfache übertroffen. Das optische Design und die präzise Ausführung der Optik durch das MPE und das MPIA setzen neue Maßstäbe für Bildschärfe und Kontrast“, sagt Frank Grupp, der die Entwicklung der Nahinfrarot-Optik am MPE leitete.

Ferner trägt das MPE zur Erforschung der Galaxienentwicklung bei. „Wir haben einen Katalog mit über 70.000 spektroskopischen Rotverschiebungen aus verschiedenen Himmelsdurchmusterungen zusammengestellt und mit den Euclid-Daten verknüpft“, erklärt Christoph Saulder, der diesen Teil des Projekts leitete. „Damit lassen sich die Entfernungen präzise bestimmen und zahlreiche Galaxien sowie Quasare in den hochaufgelösten Euclid-Bildern eindeutig identifizieren. Der Katalog bildet eine wichtige Grundlage, um diese Objekte, ihre Verteilung und ihre Eigenschaften besser zu verstehen.“

„Wir verwenden die neuen Daten, um die Techniken zur Messung der optischen Verzerrung auf kosmischen Skalen und zur Kalibrierung der Rotverschiebung zu testen. Diese Methoden wenden wir später auf die viel größeren Euclid-Datensätze an, um das wichtigste wissenschaftliche Ziel zu erreichen – die Präzisionsmessung der dunklen Energie“, sagt Hendrik Hildebrandt von der Ruhr-Universität Bochum. Er leitet das Schlüsselprojekt zur Messung der kosmischen Scherung und die Arbeitsgruppe zur Kalibrierung der Rotverschiebung.

Weiterhin haben Forschende der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München Methoden zur Identifizierung und Charakterisierung von Galaxienüberdichten getestet, ein entscheidender Schritt bei der Rekonstruktion der großräumigen Struktur des Universums. „Unsere Methoden zum Aufspüren von Galaxienhaufen sind der Schlüssel zur vollständigen Auswertung von Euclids riesigen Datenmengen. Sie verbessern die Identifizierung von Haufen und tragen zu einem tieferen Verständnis der kosmischen Strukturbildung bei. Gleichzeitig helfen sie, bisher unerforschte Bereiche im nahen Infrarot mit einer statistisch signifikanten Auswahl von Objekten zu erkunden“, sagt LMU-Wissenschaftlerin Barbara Sartoris.

Dem kosmischen Netz in Euclids tiefen Feldern auf der Spur

Euclid hat die drei Gebiete am Himmel untersucht, die schließlich die tiefsten Beobachtungen seiner Mission liefern werden. Nach nur einer Woche und lediglich einer Abdeckung pro Region hat Euclid bereits 26 Millionen Galaxien entdeckt. Die weitesten von ihnen sind bis zu 10,5 Milliarden Lichtjahre entfernt. Die Felder erstrecken sich über eine Fläche, die mehr als dem 300-fachen des Vollmonds entspricht.

Für die Erforschung der kosmischen Geheimnisse vermisst Euclid mit seiner hochauflösenden Kamera für das sichtbare Licht (VIS) präzise die verschiedenen Formen und die Verteilung von Milliarden von Galaxien. Das Nahinfrarot-Instrument (NISP) ist dagegen für die Bestimmung von Galaxienentfernungen und -massen unerlässlich. Die neuen Bilder  zeigen, dass Euclid in der Lage ist, Hunderttausende von Galaxien zu kartieren. Die Aufnahmen geben erste Hinweise auf die großräumige Verteilung dieser Galaxien im kosmischen Netz.

Datenverarbeitung und Objektklassifizierung

Euclid wird über einen Zeitraum von sechs Jahren Bilder von mehr als 1,5 Milliarden Galaxien aufnehmen und täglich etwa 100 GB an Daten zurücksenden. Ein solch beeindruckend großer Datensatz eröffnet unglaubliche Entdeckungsmöglichkeiten, stellt aber auch eine enorme Herausforderung dar.

Das Euclid-Konsortium hat ein europäisches Netz von neun Datenzentren aufgebaut, darunter das deutsche Wissenschaftsdatenzentrum (SDC-DE) am MPE. Es ist mit 7.000 Prozessoren ausgestattet und verarbeitet 10 % der von Euclid aufgenommenen Daten. Ein Team von mindestens zehn Experten sorgt für eine reibungslose und konsistente Verarbeitung der astronomischen Bilddaten. Max Fabricius vom MPE, der das SDC-DE leitet, sagt: „Täglich werden etwa 100 GB an Rohdaten praktisch in Echtzeit verarbeitet. Die Anforderungen an die fotometrische Präzision sind enorm und erfordern einen gänzlich neuen Ansatz bei den Methoden zur Kalibrierung der Daten.“

Die Suche, Analyse und Katalogisierung von Galaxien erfordert leistungsfähige Algorithmen des maschinellen Lernens – kombiniert mit der Unterstützung Tausender Freiwilliger und Experten aus der Bürgerwissenschaft. Nur so lässt sich der riesige Datensatz von Euclid umfassend auswerten. Ein wichtiger Meilenstein dieser Arbeit ist der erste detaillierte Katalog von mehr als 380.000 Galaxien. Sie wurden anhand charakteristischer Merkmale wie Spiralarmen, zentralen Balken und Gezeitenschweifen klassifiziert, die auf verschmelzende Galaxien hinweisen.

Dieser erste, heute veröffentlichte Katalog beinhaltet nur 0,4 % der Galaxien, die mit ähnlicher Auflösung voraussichtlich während Euclids Missionsdauer aufgenommen werden. Der endgültige Katalog wird die detaillierte Gestalt von mindestens einer Größenordnung mehr Galaxien zeigen, als jemals zuvor gesammelt wurde. Er trägt dazu bei zu ermitteln, wie sich Spiralarme bilden und supermassereiche Schwarze Löcher wachsen. 

Entdeckungsmaschine für Gravitationslinsen

Licht, das von weit entfernten Galaxien auf uns zukommt, wird durch normale und dunkle Materie im Vordergrund abgelenkt und verzerrt. Dieser Effekt wird Gravitationslinseneffekt genannt und ist eines von Euclids Werkzeugen, um die Verteilung der dunklen Materie im Universum zu erfassen. Bei deutlich sichtbaren Verzerrungen spricht man vom „starken Linseneffekt“, was zu Merkmalen wie Einsteinringen, Bögen und Mehrfachbildern führen kann.

Heute wird ein erster Katalog mit 500 fast ausnahmslos neuen Kandidaten für starke Linseneffekte zwischen Galaxien veröffentlicht.  Die Klassifizierung solcher Bilder entsprechend ihrer Wahrscheinlichkeit, dass es sich um Gravitationslinsen handelt, dient auch dem Training von KI-Systemen: „Für die Auswertung des 200-mal größeren Himmelsbereichs am Ende der Mission werden KI-Systeme unerlässlich sein. Die Zahl der durch den Linseneffekt verzerrten Galaxien wird schließlich auf erstaunliche 100.000 ansteigen, etwa 100 mal mehr als derzeit bekannt. Eine Klassifikation von Einzelobjekten durch den Menschen wird für diesen beispiellosen Datensatz nicht möglich sein“, betont Knud Jahnke vom MPIA. Er ist der leitende Wissenschaftler des NISP-Instruments.

Euclid wird auch „schwache“ Gravitationslinseneffekte messen. Diese entstehen, wenn die Verzerrungen der Hintergrundquellen viel geringer sind. Solche subtilen Verzerrungen lassen sich nur durch die statistische Auswertung einer großen Anzahl von Galaxien nachweisen. In den kommenden Jahren wird Euclid die Formen von Milliarden von Galaxien über einen Zeitraum von 10 Milliarden Jahren kosmischer Geschichte messen und so einen 3D-Blick auf die Verteilung der dunklen Materie in unserem Universum ermöglichen. Das AIfA in Bonn nimmt bei der Auswertung dieser Daten eine Schlüsselrolle ein. „Die Qualität der jetzt vorliegenden Daten übertrifft unsere Erwartungen. Unser Verständnis des Universums wird sich durch unsere Analyse dieser und der vielen zukünftigen Daten deutlich erweitern“, so Malte Tewes vom AIfA, Co-Leiter der Gruppe zur Analyse des Schwachen Gravitationslinseneffekts im Konsortium.

Beeindruckende wissenschaftliche Ausbeute

Neben der Veröffentlichung der Daten werden heute auch 34 wissenschaftliche Artikel vorgestellt, die auf den Euclid-Daten basieren. „Eine solche Ausbeute an Forschungsergebnissen, basierend auf nur 0,3% der finalen Euclid Daten, ist beeindruckend und lässt erahnen, was in den nächsten Jahren noch zu erwarten sein wird'', sagt Peter Schneider vom AIfA, Vorsitzender des Herausgebergremiums der Euclid-Kollaboration. Zusammen mit seinen Mitarbeitern Patrick Simon und Ole Marggraf leitet er die Koordination und das Redigieren dieser Publikationen, die bei der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics eingereicht wurden.

Hintergrundinformationen

Bis zum 19. März 2025 hat Euclid etwa 2000 Quadratgrad beobachtet, was etwa 14 % der gesamten geplanten Abdeckung entspricht. Die drei tiefen Felder umfassen zusammen 63,1 Quadratgrad.

Die sogenannten „Quick Releases“ von Euclid, wie die Veröffentlichung vom 19. März, konzentrieren sich auf ausgewählte Bereiche und dienen der Vorstellung der erwarteten Datenprodukte künftiger, umfassenderer Veröffentlichungen. Sie ermöglichen es Forschenden, ihre Analysetools frühzeitig zu testen und zu optimieren. Die ersten kosmologischen Daten der Mission werden im Oktober 2026 öffentlich zugänglich sein. Diese Veröffentlichung umfasst auch Daten aus zusätzlichen, mehrfachen Beobachtungen der tiefen Felder.

Weitere Informationen: 

ESA-Pressemitteilung: https://www.esa.int/Science_Exploration/Space_Science/Euclid/Euclid_opens_data_treasure_trove_offers_glimpse_of_deep_fields

Euclid-Konsortium: https://www.euclid-ec.org/

Programm Cosmic Vision der ESA: https://www.esa.int/Science_Exploration/Space_Science/ESA_s_Cosmic_Vision

Dieses Bild zeigt einen Bereich von Euclids Deep Field South:
Dieses Bild zeigt einen Bereich von Euclids Deep Field South: - Der Bereich ist im Vergleich zum großen Mosaik 70-fach vergrößert. Auf diesem Bild sind verschiedene riesige Galaxienhaufen sowie Intra-Cluster-Licht und Gravitationslinsen zu sehen. Der Haufen in der Nähe des Zentrums heißt J041110.98-481939.3 und ist fast 6 Milliarden Lichtjahre entfernt. © ESA/Euclid/Euclid Consortium/NASA, Bildverarbeitung von J.-C. Cuillandre, E. Bertin, G. Anselmi

Euclid wurde im Juli 2023 gestartet und begann am 14. Februar 2024 mit seinen routinemäßigen wissenschaftlichen Beobachtungen. Es handelt sich um eine europäische Mission, die von der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) gebaut wurde und betrieben wird, mit Beiträgen ihrer Mitgliedsstaaten und der NASA. Das Euclid-Konsortium – bestehend aus mehr als 2000 Wissenschaftlern aus 300 Instituten in 15 europäischen Ländern, den USA, Kanada und Japan – ist für die Bereitstellung der wissenschaftlichen Instrumente und die wissenschaftliche Datenanalyse verantwortlich. Die ESA wählte Thales Alenia Space als Hauptauftragnehmer für den Bau des Satelliten und seines Servicemoduls aus, während Airbus Defence and Space mit der Entwicklung des Nutzlastmoduls, einschließlich des Teleskops, beauftragt wurde. Die NASA stellte die Detektoren des Nahinfrarot-Spektrometers und -Photometers (NISP) zur Verfügung. Euclid ist eine Mittelklasse-Mission im Rahmen des Cosmic Vision Programms der ESA. Aus Deutschland sind das Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching, die Ludwig-Maximilians-Universität München, die Universität Bonn, die Ruhr-Universität Bochum, die Universität Bielefeld und die Deutsche Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bonn am Euclid-Projekt beteiligt. Die Deutsche Raumfahrt-Agentur im DLR koordiniert die deutschen ESA-Beiträge und fördert die beteiligten deutschen Forschungsinstitute mit 60 Millionen Euro aus dem Nationalen Raumfahrtprogramm. Mit rund 21 % ist Deutschland der wichtigste Beitragszahler zum Wissenschaftsprogramm der ESA.

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