Von P.D. Dr. Jürgen Kerp, Argelander-Institut für Astronomie
Spektroskopie bezeichnet eine Technik in der Physik, die es erlaubt, das Licht einer Quelle in seine Farbanteile zu zerlegen. Regenbögen sind z.B. natürliche Spektrometer: Im Regenbogenspektrum ist erkennbar aus welchen Farbanteilen sich das Sonnenlicht zusammensetzt. Die Lichtbrechung der Regentropfen ist für jede Farbe unterschiedlich. Daher sehen wir im Regenbogen die Farbanteile fein säuberlich voneinander getrennt (dispergiert) am Himmel. Spektroskopie von Licht ist eine weit genutzte wissenschaftliche Methode. Sie ermöglicht, die unterschiedlichen Farbanteile von unterschiedlichen Lichtquellen im Detail zu studieren. So geben die unterschiedlichen Farbanteile Auskunft darüber, welche chemischen Elemente das Licht erzeugen bzw. schwächen. Forscher:innen lernen also durch die Nutzung von Spektrometern etwas über die Natur der Lichtquellen. Studierende des Studiengangs Bachelors of Science in Physik müssen die Technik der Spektroskopie beherrschen. Ein seit Jahren etabliertes Bonner Praktikumsexperiment nutzt die Spektroskopie, um das Sternenlicht mit einem 50-cm Teleskop auf dem Institutsdach zu studieren. Doch die Nachfrage nach diesem Experiment ist weitaus größer als die Anzahl der guten Beobachtungsnächte in Bonn. Es musste ein weiteres Experiment her, eines, welches lehrreich aber idealerweise zugleich auch wetterunabhängigere Beobachtungen erlaubt. Hier bot sich die Spektroskopie des neutralen atomaren Wasserstoffs (Atomkern und Elektron als Einheit) an.
Wasserstoff als DAS Element des Universums
Würden wir die Atomkerne im Universum einzeln zählen können, so würden wir feststellen, dass 98 von 100 Atomkernen im Universum Wasserstoffkerne sind. Freie neutrale Wasserstoffatome, die noch nicht im Inneren von Sternen gebunden sind, senden bei der Wellenlänge von 21-cm Licht aus. Dieses Licht des interstellaren Mediums, der Materie zwischen den Sternen, erreicht direkt den Erdboden. Es wird durch die Erdatmosphäre weder absorbiert noch gedämpft. Es transmittiert ungehindert die Erdatmosphäre. Selbst bei Starkregen kann das Licht der 21-cm Linie der kosmischen Gaswolken beobachtet werden. Auch ist die Beobachtung unabhängig von der Tageszeit. Denn die Sonne ist ein derart schwacher Strahler im cm-Radiobereich, dass für Radioteleskope der Himmel stets dunkel ist. Also, alles optimal für die 21-cm Linien-Spektroskopie im Radiowellenbereich.
Sichtbarkeit der 21-cm Linie wird überprüft
Zunächst musste herausgefunden werden, ob die 21-cm Linie von Bonn aus sichtbar ist. Nicht, dass die Strahlung nicht den Bonner Boden erreichen würde. Doch wir als Menschen nutzen heute eine Vielzahl von Signalen im cm-Radiobereich um z.B. analog oder digital Radio zu hören oder mobil zu kommunizieren. Diese Signale sind im städtischen Umfeld um viele Größenordnungen heller als die 21-cm Linienstrahlung aus dem Kosmos. Dazu wurden Testmessungen mit einem mobilen 1-m Radioteleskop durch die Kollegen Herr Dr. Wolfgang Herrmann und Herr Thomas Buchsteiner vom Astropeiler e.V aus Bad Münstereifel am Wolfgang-Paul Hörsaal und auf dem Dach des Argelander-Instituts für Astronomie durchgeführt. Die Ergebnisse waren äußerst vielversprechend. Es ist problemlos möglich, selbst in der unmittelbaren Nachbarschaft des Bonner Regenradars auf dem Ulrich-Haberland Haus, die 21-cm Linie des Wasserstoffs von weit entfernten Regionen der Milchstraße zu messen.
Ein ausgemustertes small-radio telescope wird zu einem neuen Messgerät für die Physikpraktika
Was jetzt noch fehlte war ein Teleskop. Ein Teleskop erlaubt den Studierenden gezielt die Richtung auszuwählen, aus denen sie die Strahlung des Wasserstoffs untersuchen möchten. Herr Dr. Herrmann vom Astropeiler e.V. berichtete von einem ausrangierten Haystack Small-Radio Telescope (SRT) in einem Lagerraum der Sternwarte Hamburg. Es war einst das Hauptinstrument der Universität Hamburg für die studentische Ausbildung und wurde durch ein gleichgroßes, jedoch moderneres ersetzt. An der Universität Bonn haben wir das Glück den Astropeiler auf dem Stockert für die Ausbildung der Masterstudierenden der Physik und Astronomie nutzen zu können. Ein eigenes kleines Radioteleskop zu besitzen war bislang nicht notwendig. Der Astropeiler auf dem Stockert ist bereits ein beeindruckend großes Radioteleskop mit seinen 25 m Spiegeldurchmesser. Es war das erste Radioteleskop der Bundesrepublik Deutschland, das im Jahr 1956 in Betrieb genommen wurde. Der Astropeiler war die Keimzelle für die Radioastronomie in der Köln-Bonner Region. Mit dem Wunsch nach einem radioastronomischen Versuch im Bachelorstudium jedoch sollte ein jederzeit verfügbares, wenn auch kleineres, Radioteleskop her. Anfang März 2022 machten sich Herr Thomas Buchsteiner vom Astropeiler e.V. und der Autor mit einem Kleinbus der Universität Bonn auf den Weg nach Hamburg. Das Teleskop lag in Einzelteilen, aber vollständig und trocken, in einem der vielen Teleskopschuppen der Sternwarte in Hamburg-Bergedorf. Zurück in Bonn begann ein kleines Team von Studierenden, vom Erstsemester bis zum PostDoc, das Teleskop zu reinigen, zu lackieren, zu schmieren. Jedoch am wichtigsten war die Digitalisierung der Steuerung. Die Kollegen des Astropeiler e.V. hatten damit bereits ausgezeichnete Erfahrungen gesammelt und auch einen Satz an Platinen entwickelt, der als Herzstück einen Einplatinencomputer besitzt. Mittels eines Linux-Betriebssystems lässt sich das Teleskop auf Positionen am Himmel ausrichten und ein Spektrum aufnehmen. Herr Hans Peter Löge ätzte am Astropeiler die Platinen. Danach kam Woche für Woche neues Leben in das Elektroniklabor des AIfAs. Mittwochnachmittags wurde wöchentlich gelötet, verkabelt und bestückt. Daneben geschliffen, poliert und geglättet. Alles in Handarbeit, crafted in Bonn würde die Werbung wohl sagen. Da der originale Empfänger des Haystacks SRTs bemerkenswert eigenartig konstruiert ist, wurde ein eigener, neuer Empfänger aufgebaut. Auch dieser wurde mit den teilweise historischen Maschinen im AIfA eigenhändig gefertigt. Im Winter 2022/23 war das AIfA-SRT bereit für das first light. Es sollte jedoch noch bis Mai 2023 dauern bis das Teleskop, im Rahmen eines experimentellen Aufbaus, auf dem Dach des AIfAs erstmals zusammengebaut wurde. Ohne Probleme wirkten die selbstgefertigten Komponenten zusammen und bildeten eine Einheit. Einige Kabel waren noch zu kurz und mussten erneut gelötet werden, aber der Mikrocomputer steuerte das Teleskop sanft bis in die Endanschläge. Die Richtung auf die Kreuzbergkapelle ist vom AIfA aus gesehen die Südrichtung und damit die Richtung, in der die astronomischen Quellen ihre höchste Position über dem Bonner Horizont erreichen. Nur zwei handbreit über den Horizont kulminiert das Zentrum der Milchstraße in Bonn. Es ist mit dem kleinen Radioteleskop auf dem AIfA aber problemlos sichtbar.
Erster Einsatz des Teleskops im Physikpraktikum
Im Juni 2023 konnten die ersten Teams von Studierenden das kleine Radioteleskop zu Beobachtungen im Rahmen des Physikpraktikums bereits nutzen. Sie vermaßen dabei die Rotationskurve der Milchstraße und wiesen nach, dass die Galaxie in der wie leben eine Spiralgalaxie ist. Eine Erkenntnis, die Astronomen erstmals Ende der 1950er Jahre verlässlich nachweisen konnten. Somit wiederholen die Studierenden die Experimente von Jan Hinrich Oort, der einer der bedeutendsten Astronomen des vergangenen Jahrhunderts war. Ihm ist es zu verdanken, dass wir die 21-cm Linie des neutralen atomaren Wasserstoffs überhaupt kennen. Da das kleine Radioteleskop derzeit noch nicht fest auf dem Dach montiert ist, wird der 3,2-m Spiegel nur für das Praktikum aufgebaut. Starker böiger Wind kann die radioastronomischen Messungen verhindern. Selbst das 100-m Radioteleskop in Effelsberg muss bei Sturm und stark böigen Wind untätig in den Zenit blicken und kann nicht messen. Sobald das AIfA-SRT auf dem Dach fixiert sein wird, kann es Studierenden, aber auch eventuell von Schüler:innen als außerschulischer Lernort genutzt werden. Eine Schülerin des CJDs in Königswinter konnte Mitte Juni bereits ein Forschungspraktikum mit dem AIfA-SRT durchführen. Aktuell untersucht ein Studierender im Rahmen seiner Bachelorarbeit die Qualität des Teleskops als wissenschaftliches Instrument. Im kommenden Wintersemester werden wieder Teams von Studierenden die Struktur und Dynamik der Milchstraße vermessen.
Danksagung
Mein Dank geht an die vielen Freiwilligen, die Stunden damit verbrachten das ausgemusterte Hamburger SRT einer neuen Aufgabe zuzuführen. Insbesondere richtet sich mein Dank an Herrn Dr. Dieter Engels von der Hamburger Sternwarte, der uns
großzügig das Instrument überließ. Es hat sich gelohnt: Argelander blickt nun auch in den Radiohimmel!